Hi;
Am Freitag, den 06.03.2020, 13:58 +0100 schrieb Roland Hummel:
nachvollziehbare Darstellung, aber: Habe ich das KISS-Prinzip nicht verstanden (für jeden Service genau ein Dienst, der nicht mit anderen so verzahnt ist, dass Lock-In-Effekte entstehen) oder hat dieses Prinzip kein IT-strategisches Gewicht mehr?
Mir fällt es schwer, das sinnvoll zu beantworten. Die eigentliche Anforderung hierfür wäre letztlich, Dienste mit offenen Schnittstellen und portablen Datenformaten zu verwenden. Das Problem dabei: Das läuft momentan für Kunden auf eine Entscheidung entweder pro Funktionalität oder pro Offenheit hinaus, und die ist (insbesondere bei nicht- technischen Kunden, die auf Budget und Funktionalität schauen *müssen*) schnell getroffen... Wir haben das über Jahre versucht und sind an so trivialen Stellen gescheitert wie einer Kalender-Integration (bei der ich nicht Leute zu Terminen einladen möchte an Zeiten, an denen die schon in ihrem Kalender geblockt sind).
Unsere Herausforderung als Community ist, dass wir für den Anspruch, den wir eigentlich berechtigt hätten - separate, isolierte Dienste für alle relevanten Geschäftsfälle, die sich sinnvoll verknüpfen lassen - absolut nichts haben, was in der Breite eines O365 wirklich endnutzer- oder unternehmenstauglich ist. Deswegen werde ich auch manchmal nervös, wenn ich sehe, dass wir *noch* eine Linux-Distribution oder *noch* ein FLOSS-Messaging-Protokoll und *noch* eine Impl davon in irgendeiner esoterischen Programmiersprache an den Start bringen. Eigentlich gäbe es wichtigere Herausforderungen.
Soll heißen: "Eierlegende Wollmilchsäue" sind nur so lange attraktiv wie die Eier auch gelegt werden, die Milch nicht sauer schmeckt und die Wolle einigermaßen Qualität hat.
Natürlich. Wobei die Qualität aber leider "relativ" wird, wenn die Menge an Alternativen überschaubar ist. Konkret bei O365/Teams ist das extrem schwierig. Was ich dort erlebe, ist: Die Unternehmen mieten Azure, mit Windows-Domaincontroller in der Cloud, an dem die Desktops hängen, auf die das Office synchronisiert wird. Die Windows-Desktops haben mit erster Anmeldung des Nutzers das Office, die Kalender, Mail und alle anderen relevanten Daten (einschließlich Sicherheitsrichtlinien und sonstiger Anwendungen) weitestgehend da. Und die Nutzer können mit O365-Anbindung in ihrem Word, Excel, ... in der *Desktop*-Anwendung kollaborativ arbeiten.
Ich freue mich absolut nicht darüber, dass das von Microsoft kommt. Aber letztlich prägen die dortigen Möglichkeiten die Wahrnehmung vom Markt. Das ist eines der Probleme, das ich seit vielen Jahren hier mit Linux-Desktops habe - es ist schwierig bis unmöglich, beispielsweise Sicherheitseinstellungen für den Browser für bestimmte Nutzergruppen netzwerk-übergreifend auszurollen in einer Form, die sich lokal nicht aushebeln lässt. Und kaum jemand, der vorher vielleicht FLOSS-Know-How im Haus hat, wird versuchen, sowas mit Selfhosting-Werkzeugen nachzubauen.
Bei O365 und Teams kommt zudem noch ein erschwerender Faktor hinzu: Third-party-Anwendungen. Ich sehe bei uns eine zunehmende Menge an Applikationen, die auf O365 und Teams sitzt und nicht von Microsoft kommen, sondern die man in Teams installieren und nutzen kann. Dort gibt es einen ganzen Haufen von fachspezifischen Modulen, die bestimmte Anwendungsfälle in Team-Zusammenarbeit abbilden können. Siehe etwa [1]. Wie *diese* Entwicklung professionellen Einsatz von FLOSS in Zukunft beeinflussen wird, ist, glaube ich, noch gar nicht absehbar.
Viele Grüße, Kristian
[1]https://appsource.microsoft.com/en-us/marketplace/apps?src=office&search...