Lieber Ralf und Willi,
ein paar Anmerkungen:
On 26.04.2017 03:06, willi uebelherr wrote:
Wir muessen in grossen zeitraeumen denken. Und da wird sich das prinzip "Wissen ist immer Welterbe" durchsetzen, weil es rational ist. Das, was wir heute sehen, ich laecherliches luegenspektakel.
Dass sich gerade das Rationale langfristig durchsetzen wird, ist noch nicht unbedingt klar. Menschen handeln oft irrational und stecken außerdem in vielen Herrschaftsstrukturen, die es ihnen verbieten, sich für das rational Richtige zu entscheiden, selbst wenn sie es erkennen.
Mit der geleisteten zeit fuer die realisierung von ideen und modellbildungen sind wir eingebettet in ein grosses geflecht von beitraegen an gemeinschaftlichen aufgaben. Wir koennen auch sagen, dass die meisten menschen in den sogenannten industrialisierten laendern parasitaer existieren. Sie tragen nichts bei, obwohl sie einen enormen aufwand verursachen.
Das ist so nur halb richtig. Ich glaube, es ist sehr schwer bzw unmöglich, den gesellschaftlichen Beitrag zu messen.
Ein paar Dinge wie Werbung, Handel, Finanzwesen, etc tragen gesamtgesellschaftlich nichts bei, da sind wir uns vielleicht einig. Verfechter des Kapitalismus würden aber vielleicht schon behaupten, dass sie nötig sind, damit die Wirtschaft überhaupt funktioniert.
Der nächste Punkt wären Militär, Polizei, Richter, Anwälte, Fahrkartenkontrolleure, etc. Da gehen die Meinungen schon stärker auseinander, weil nach mehreren Generationen Propaganda in den Köpfen der meisten Menschen drin ist, man bräuchte die, um die Guten (uns) vor den Bösen zu schützen.
Wie ist es aber mit dem ganzen Technologie-Sektor? Mehr Technologie bedeutet, die gleichen Aufgaben könnten mit weniger Aufwand gemeistert werden. Theoretisch bräuchte doch schon lange keiner mehr hart arbeiten, wenn man sich die Produktivitätssteigerung der letzten paar Hundert Jahre mal anschaut. Die gewonnene Produktivität kommt aber scheinbar nur der Wirtschaft zu Gute. Es gibt noch ein paar Superreiche, aber die können gar nicht so viel ausgeben, wie sie haben (und reinvestieren mehr als sie für sich privat ausgeben). Außerdem wächst objektiv in den Industrienationen der Wohlstand. Aber das äußert sich nur in größeren Fernsehern und neuen Smartphones, vielleicht noch mehr Reisen und dickere Autos. Worauf ich hinaus will: Hat technologischer Fortschritt auf unserem Niveau für die Gesellschaft irgendeinen Wert? Insbesondere eingebettet in ein Wirtschaftssystem, das nicht auf das Wohlergehen der Menschen ausgerichtet ist?
Also ich denke, wir verursachen nicht nur enormen Aufwand, sondern haben auch eine enorme Produktivität. Parasitär ist es nur insofern, als dass es unüberlegt und egoistisch ist, aber da ist der Rest der Welt nicht besser. Gefährlich ist es, weil es immer weiter wächst und dabei nicht auf das Wohl der Menschen ausgerichtet ist.
Ich denke, an dieser stelle koennen wir ansetzen. Das ziel ist, dass jede person mindestens der gemeinschaft gibt, was sie von ihr nimmt. Wir koennen diese bilanz auch auf groessere zeitraeume ausdehnen.
Das halte ich nicht für sinnvoll. Wie oben geschrieben, halte ich es kaum für möglich, das überhaupt zu bemessen. Und was wollen wir überhaupt als Grundlage dieser Messung nehmen?
Geld? Hast du vermutlich nicht im Sinn gehabt, aber auch das ist teilweise Mangelware und deshalb nicht zu vernachlässigen. Wären nicht die leeren Sozialkassen ein ständiges Theme, würde ich vermutlich schon lange von Hartz IV leben und etwas sinnvolleres als Lohnarbeit mit meiner Zeit anfangen.
Beitrag zur materiellen Produktivität? Da müsste jede zweite Free-Software-Entwicklerin sich mit 30 zur Ruhe setzen können, weil sie ihren Beitrag geleistet hat. Aber auch hier ist die Verrechnung beinahe unmöglich. Wie viele Lines of Code kostet ein Haarschnitt? Ohne irgendwelche wahllosen subjektiven Kriterien (sei es ein freier Markt, sei es investierte Arbeitszeit) lässt sich das nicht messen.
Beitrag zu einem besseren Leben für alle? Da wird das Aufrechnen noch unmöglicher. Aber klingt doch am sympathischsten.
Ich bin ja der Meinung, dass Menschen einfach das geben sollten, was sie für sinnvoll halten und sich absprechen sollten, wer was bekommt. Ich bin mir sicher, das gibt hin und wieder Streit um die Verteilung, aber ich bin mir auch sicher, dass dann weniger Leute verhungern müssten und dass wir auf die meisten "parasitären" Tätigkeiten verzichten könnten, genauso wie auf grenzenloses Wachstum und die daraus resultierende Zerstörung der Welt. Und dann würde sich die Frage nicht stellen, ob Software oder Saatgut frei sein sollte. Dann würde nämlich alles andere tatsächlich keinen Sinn machen.
Also um es auf den Punkt zu bringen, fühle ich mich da am ehesten im kommunistischen Anarchismus zu Hause.
Sollen wir diesen wahn, den wir heute erleben, ernst nehmen? Ihn respektieren? Sich uns an ihm orientieren? Sollen wir uns selbst zu wahnsinnigen umformen?
Das sind gute Gedanken. Ernst nehmen wahrscheinlich schon. Aber ich gebe dir Recht, dass wir uns auch nicht zu sehr davon das Hirn umkrempeln lassen sollten. Manchmal sollten wir einfach die Welt naiv betrachten und die Scheuklappen des gerade herrschenden Systems ablegen. Wirtschaftssysteme, Staaten, etc, das alles ist vergänglich und wir haben oft deutlich mehr Möglichkeiten, etwas anders zu machen, als wir denken. Wir müssen uns dessen nur erstmal bewusst werden und auch mal dickköpfig unsere Vorstellungen umsetzen.
Das hat übrigens auch Stallman gemacht, mit beachtlichem Erfolg. Deine Kritik an ihm verstehe ich noch nicht ganz, obwohl ich auch einiges an ihm kritikwürdig finde. Aber sein Handeln halte ich unterm Strich doch für richtig und wichtig. Ich fände es auch eher bedenklich, wenn ich alles von ihm toll fände. Ich will Ideen folgen und nicht Menschen.
Viele Grüße David