http://www.handelsblatt.com/news/Default.aspx?_p=301104&_t=ft&_b=112...
HANDELSBLATT, Montag, 4. September 2006, 07:00 Uhr "Auge um Auge, Zahn um Zahn"
Rache ist nicht süß, sondern macht arm und arbeitslos Von Norbert Häring
Menschen, die stark dazu neigen, Gutes mit Gutem zu vergelten, verdienen im Durchschnitt mehr als solche, dazu weniger neigen – das zeigt eine neue Studie. Wer sich gerne im Schlechten revanchiert, ist dagegen häufiger arbeitslos und verdienen weniger.
Der alttestamentarische Grundsatz, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, ist nicht in jedem Fall ein guter Leitfaden für beruflichen und sozialen Erfolg. Hilfreich ist er nur im Sinne von Gutes mit Gutem vergelten – das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ dagegen erweist sich in aller Regel als Bumerang.
Wer stark dazu neigt, Gutes mit Gutem zu vergelten, verdient im Durchschnitt mehr als jemand, der dazu weniger neigen – das hat eine Gruppe von Wissenschaftlern um Armin Falk, den Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), herausgefunden. Menschen, die sich gerne im Schlechten revanchieren, sind dagegen häufiger arbeitslos und verdienen weniger als andere.
Die Bonner Studie ist ein neuerlicher Beleg dafür, dass das klassische Menschenbild der Ökonomie sehr realitätsfremd ist. Im Zentrum traditioneller Modelle steht der eigensüchtige „Homo oeconomicus“ – zahlreiche Laborexperimente und zunehmend auch Feldstudien zeigen allerdings: Menschen sind soziale Wesen, denen Altruismus nicht fremd ist, die einen Gefallen erwidern und sich für erlittene Unbill revanchieren – selbst wenn dies ihnen selbst Nachteile verursacht.
Allerdings: Im wirklichen Leben scheint es längst nicht nur den einen „Homo reziprocans“ zu geben, der stets Gleiches mit Gleichem vergilt, zeigt die jetzt veröffentlichte Studie der Bonner Forscher.
In der Realität lassen sich Menschen in drei verschiedene Gruppen einordnen: Erstens gibt es diejenigen, die vor allem im Positiven Gleiches mit Gleichem vergelten – dieses Verhaltensmuster ist am weitesten verbreitet. Zweitens gibt es Menschen, die sich hauptsächlich im Negativen reziprok verhalten – sie sind allerdings in der Minderheit. Drittens gibt es eine Gruppe, für die beides gilt.
Grundlage für diese Erkenntnisse sind die Antworten von 21 000 Teilnehmern des Sozioökonomischen Panels, einer Befragung, die als repräsentativ für die erwachsene deutsche Bevölkerung gilt. Die Teilnehmer wurden gefragt, wie sehr Aussagen über ihre Neigung zu positiver und negativer Reziprozität auf sie zutreffen.
Tatsächlich scheint der „Homo oeconomicus“, der sich weder im Positiven noch im Negativen revanchiert, fast nicht vorzukommen. Viele Befragte berichteten von einem starken Hang zu positiver Reziprozität, die meisten haben zudem nur eine geringe Rache-Neigung.
Im Durchschnitt kamen die Befragten bei den Fragen zur positiver Reziprozität auf einer Skala von 1 („trifft nicht zu“) bis 7 („trifft voll zu“) auf einen Wert von 5,8. Bei den negativen lag das Mittel dagegen nur bei 3,1. Frauen neigen deutlich stärker zu positiver und deutlich weniger zu negativer Reziprozität als Männer. Mit zunehmendem Alter nimmt ebenfalls die Neigung zur positiven Reziprozität zu und die Neigung zur negativen Variante ab.
Eindeutig ist zudem ein weiterer Befund: Wer nach den Prinzipien der alttestamentarischen Rächer lebt, muss in aller Regel erhebliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen – weil er größere Schwierigkeiten hat, soziale Bindungen einzugehen und aufrechtzuerhalten, vermuten die Wissenschafter.
Zudem dürften solche Menschen dazu neigen, auf Zumutungen durch Vorgesetzte oder Kollegen auf eine Weise zu reagieren, die ihnen selbst schadet. Zu diesen Reaktionen scheint auch Blaumachen zu gehören – denn Menschen, die eine starke Neigung zu negativer Reziprozität angeben, haben zugleich überdurchschnittlich hohe Fehlzeiten.
Menschen, die im positiven Sinne Gleiches mit Gleichem vergelten, machen dagegen mehr Überstunden und verdienen auch überdurchschnittlich gut. Allerdings: Durch die längere Arbeitszeit ist ihr Stundenlohn nicht höher als von anderen Menschen. Diese Beobachtungen sind möglicherweise ein Baustein für die Erklärung von Arbeitslosigkeit. Denn die Ergebnisse von Falk und Co. legen den Schluss nahe: Unternehmen haben Anreize, ihren Beschäftigten freiwillig höhere Löhne zu zahlen, als es das Spiel von Angebot und Nachfrage eigentlich erfordern würde – weil sie dafür vom „Homo reziprocans“ im Gegenzug mehr Engagement erwarten können.
Auch für andere wirtschaftspolitische Felder haben die Erkenntnisse der Bonner Ökonomen einige Bedeutung – zum Beispiel mit Blick auf das Steuersystem. Wer Steuerhinterziehung vermindern möchte, sollte mehr Gewicht darauf legen, dass die Menschen die Steuergesetze und ihre Durchsetzung als fair empfinden, schreiben die Autoren.
In der Sozialpolitik sprechen die Erkenntnisse nach Ansicht der Wissenschaftler dafür, Hilfsbedürftige nur dann relativ großzügig zu unterstützen, wenn sie sich bemühen, im Gegenzug eine Leistung für die Gesellschaft zu erbringen. Dann sei mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung auch für relativ großzügige Hilfen zu rechnen. Für Personalabteilungen von Unternehmen stellt sich die Frage, ob und wie man bei Neueinstellungen die verschiedenen Verhaltenstypen unterscheiden kann. Dabei allerdings tappt die Wirtschaftswissenschaft noch weitgehend im Dunkeln.