Am 24.05.2011 08:59, schrieb olafBuddenhagen@gmx.net: ...
Bist Du sicher, dass die alte Version wirklich weniger Bugs und gravierende Usability-Fehler hat? Meist ist es einfach nur so, dass man sich an die Probleme der alten Version längst gewöhnt hat, und sie daher gar nicht mehr wahrnimmt... Jede noch so kleine Verschlechterung (oder oft sogar langfristig positive Änderung, die aber Umgewöhnung erfordert) fällt zunächst sehr viel stärker auf, als Verbesserungen.
Es ist beides. Klar hängt man an Gewohnheiten. Eine Mitarbeiterin stört sich z.B. daran, dass der neue "Datei-Umbenennen" Dialog von KDE ein eigenes Fenster aufmacht statt dies im Dateinamen selbst zu erledigen. Objektiv besser, subjektiv (für sie) schlechter.
Aber es gibt eine Menge echter neuer Bugs. Oder unerledigter alter Bugs. Hier ein kleines Beispiel, nicht weltbewegend, aber mühsam:
In Kmail kann man im Druckdialog zwar wie früher die Ränder einstellen, aber Kmail vergisst es wieder sofort, d.h. die Einstellung gilt nur für genau ein Mal drucken. Dann geht es wieder auf 4 mm. Grundlage ist ein Qt/Nokia Bug aus dem Jahr 2008: http://bugreports.qt.nokia.com/browse/QTBUG-3567 Hier gibt es also keine Abhilfe, ausser auf Kmail oder KDE4 oder einstellbare Ränder zu verzichten, oder ein cleverer Workaround zu finden. Was für eine Privatperson nur nervend ist, ist für eine Firma oder eine Verwaltung unakzeptierbar. Aber hier sind die Kosten der Umstellung auf ein neues Mailprogramm oder ein anderes GUI hoch. Theoretisch könnte jeder den Bug selbst beheben, aber in der Praxis können das nur wenige, und so ist man genau so abhängig wie bei proprietärer SW. In diesem Fall offenbar von denselben Firmen (hier Nokia).
...
Auch ich habe mich schon oft über geänderte Interfaces geärgert, und kenne den Schmerz. Aber sollte man deshalb alle Oberflächen in Stein meißeln, und jeglichem Fortschritt entsagen?...
Es braucht beides, den Fortschritt *und* die Kontinuität. Nur eine Monopolistin wie Microsoft kann sich leisten, ihre an Kontinuität interessierten Kunden mit Zwangs-Fortschritt zu "beglücken", wie z.B. die "Ribbons" in den neueren Versionen von MS-Office.
Hingegen sind die Usability-Probleme insebesondere der GUIs und Anwendungen (vor allem bei Upgrades) für mich dermassen nervend, dass ich sie ohne eine politische/philosophische Motivation wohl nicht erdulden würde und mir von Win oder Mac subjektiv Besserung versprechen würde
Angesichts der obigen Ausführungen sollte klar sein, dass eine solche Erwartung völlig verfehlt ist...
Weshalb? Apple schaffte es die ersten Versionen des MacOS dermassen intuitiv zu gestalten, dass jede Person praktisch sofort produktiv loslegen konnte. Bis auf einige Dialoge war es fast perfekt. Microsoft gelang ähnliches etwas weniger gut aber immerhin, mit Windows95. (Ist mir bewusst, dass diese Konzepte früher von anderen erfunden wurden, aber das ist hier nicht da Thema.) Diese populären GUIs mussten dann einerseits dem Internet und anderserseits der schier unglaublichen Zahle von Dokumenten angepasst werden, die heute auch eine Privatperson besitzt, z.B. wegen Musik- und Photo-Sammlungen. Und noch neuer: die schier unglaubliche Verfügbarkeit von "Apps". Ich denke KDE und Gnome hatten die neuen Herausforderungen zunächst besser gelöst als Apple und Microsoft, aber damit scheint es nun vorbei. Der "Business"-Kunde erwartet, dass die Mitarbeiter mit ihren Dokumenten und Geräten arbeiten können. Dazu braucht es eine Art Standard-Oberfläche, die *funktioniert*. Beides ist weniger gegeben als früher. Ich weiss nicht, ob diese Dinge bei Microsoft oder Apple besser oder schlechter gelöst sind, aber sie *scheinen* dort besser gelöst. Das dürfte *ein* Faktor beim Scheitern einiger Linux Migrationen vom letzten Jahr sein. Ich sehe das an mir selbst und meinen wenigen MitarbeiterInnen. Wenn man viel Arbeit hat oder sogar davon etwas überwältigt ist, verträgt es nicht viel an Unanehmlichkeiten.
Viele Grüsse, Theo Schmidt