Hallo Henry et al.,
On Tuesday 19 April 2011 10:43:13 Henry Jensen wrote:
Zur "Digitalen Gesellschaft" und anderen netzpolitischen Vereinigungen (FoeBuD usw.) möchte ich noch anmerken, dass mir diese zu einseitig auf unmittelbar politisch realisierbare Forderungen ausgelegt sind bzw. dass diese nicht zu Ende gedacht sind. Sicher ist es m. E. richtig und wichtig sich gegen VDS und Netzsperren zu wehren. Wenn es aber z. B. um freie Software geht äußern sich diese Vereinigungen kaum bis gar nicht. Freie Software ist aber die Voraussetzung für eine freie "Digitale Gesellschaft".
ACK. Ich sehe das als ein sehr grundsätzliches und gewichtiges Problem von weiten Teilen der »netzpolitischen Szene« an. Sei es im Zusammenhang mit Parteien (wie der SPD, der Linken, der FDP, den Grünen oder den Piraten), in Blogs, in netzpolitischen Diskussionsrunden in Funk und Fernsehen, oder im Zusammenhang mit Vereinigungen wie dem FoeBuD, dem AK Vorrat oder sogar dem CCC: Fast alle der (aktuellen) Netzpolitik- Debatten bleiben leider in der Oberfläche der Anwendungsschicht stecken. Ich will damit bestimmt nicht sagen, dass diese »aus der Anwendersicht« geführten Debatten nicht *auch* sehr wichtig wären.
Aber ich bin davon überzeugt, dass eine kompetente, wirksame und nachhaltige Netzpolitik (die mehr als Schaumschlägerei und ein leerer Diskurs sein will) nur erblühen kann, wenn sie ihr Augenmerk deutlich prominenter auch auf die tieferen Schichten des Internets---bzw. unserer IT-Infrastruktur i.A.---unterhalb der Anwendungsebene (und damit auf Themen wie offene Standards und freie Software, Crypto, das Ende-zu- Ende-Prinzip, dezentrale Infrastrukturen/P2P, Principle of least privilege, multilaterale Sicherheit etc.) legt. Denn es sind diese tieferen Schichten, in denen sich die Beschaffenheit des Leitmediums unserer Zukunft auf mittlere und lange Sicht maßgeblich konstituieren wird.
Umso mehr freue ich mich darüber, dass in FSF(E)-Kreisen immer öfter diese »tieferen Schichten« auch jenseits der freien Software und offener Standards thematisiert werden [1, 2]. Wenigstens die Netzneutralität ist inzwischen auch in Deutschland zu einem netzpolitischen Mainstreamthema geworden.
Der tragischerweise vor kurzem jung verstorbene Prof. Pfitzmann [3] hat diese »tieferen Schichten« in Bezug auf den Datenschutz schon vor mehr als 10 Jahren in seinem Vortrag »Warum brauchen wir Technik? — Zum Verhältnis von Technik und Recht« (S.131-S.135 in »20 Jahre Datenschutz — Individualismus oder Gemeinschaftssinn?« [4]) thematisiert. In diesem Vortrag legt er sehr treffend dar, dass es uns viel mehr um »Technikgestaltung« (also um die generische und grundlegende rechtliche und durchaus auch technische Gestaltung der Infrastruktur unserer digitalen Gesellschaft [durch die Politik]) gehen sollte, denn darum, im Nachhinein im Konkreten (durch das Recht) an der Oberfläche herumzudoktoren, wenn das Kind schon lange in den Brunnen gefallen ist.
Schöne Grüße micu =========================================================== [1] http://www.micuintus.de/2011/03/08/why-political-liberty-depends-on-software-freedom-more-than-ever/ [2] http://www.youtube.com/watch?v=hNhlOlGInHE Übrigens eine ganz dickes Lob für diesen Vortrag: sehr charismatisch und didaktisch-rhetorisch-dramaturgisch hervorragend. Mir war (bis ich diesen Vortrag vor kurzem entdeckte) gar nicht klar, dass wir so einen coolen Free-Software-Steve-Jobs (ähem, das soll in diesem Zusammenhang bitte als Lob aufgefasst sein :D) in unseren Reihen haben. [3] http://www.micuintus.de/2010/09/24/zum-tod-von-prof-dr-andreas-pfitzmann/ [4] https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service/submenu_Tagungsbaende/Inhalt/20_Jahre_Datenschutz/20_Jahre_Datenschutz1.pdf