On Sat, 05 Jul 2014 06:06:07 +0200 David Rabel david.rabel@gmx.de wrote:
ich hoffe die Antwort auf die Frage ist nicht zu offensichtlich. Wenn das Thema an anderer Stelle schon ausführlich besprochen wurde, würde mir auch ein Link reichen. Bisher konnte ich im Internet keine zufriedenstellenden Informationen finden.
Das Thema kommt immer mal wieder auf, gerade weil es keine so kurzen antworten gibt.
Als selbstständiger Softwareentwickler kann ich aus Erfahrung sagen, dass viele Kunden, die Spezialsoftware für ihre Hauseigene Umgebung in Auftrag geben, oft gar nicht über die Lizenz nachdenken. Das führt zum einen dazu, dass sie von kleinen proprietären Softwareklitschen schon mal ganz schön über den Tisch gezogen werden, zum anderen ist das aber auch eine gute Gelegenheit für Freie Software - die Vorteile eines offenen Entwicklungsmodells lassen sich nämlich plötzlich erstaunlich gut vermitteln, wenn eine Firma tatsächlich vor der Realität steht, mehrere tausend Euro für die Anfertigung von Spezialsoftware auszugeben.
Dem Kunden zu vermitteln, dass er nicht in alle Ewigkeit an dich gebunden sein wird wenn er seine Software weiterentwickeln lassen will, ist ein Aspekt darunter. Das gibt dir im Gegenzug die die Möglichkeit, dich persönlich in eine andere Fachrichtung zu entwickeln und nicht einziger Ansprechpartner für die Firma zu bleiben.
Auch kannst du z.T. den Entwicklungsprozess beschleunigen, wenn du auf vorhandene Komponenten zugreifen darfst die unter einer starken FLOSS-Lizenz (z.B. GPL/AGPL) stehen. Das macht einen echten Unterschied bei Entwicklungszeit und Geldbeutel.
Unmengen an Software die hausintern beauftragt wird ist ohnehin gar nicht dazu gedacht, jemals verkauft zu werden. Die Aussicht, dass externen Stellen möglicherweise Code beisteuern könnten oder man sich die Entwicklungskosten mit einem befreundeten Unternehmen teilen kann ist plötzlich ein großer Anreiz.
Vorurteile gegenüber freien Entwicklungsmodellen verschwinden schlagartig, sobald ein Kunde erst aus eigenem Antrieb einen Zugang dazu hat was Softwareentwicklung bedeutet.
Etwas zu mir und meiner Situation:
Ich bin seit circa drei Monaten Softwareentwickler im Bereich Embedded Systems. Der Job macht eigentlich Spaß, aber ich fühle mich unwohl dabei, proprietäre Software zu schreiben.
Eine eigene Hardwareplattform zu entwickeln und im Massenmarkt zu Vertreiben wäre zum Beispiel etwas, dass ich mir bei einem Einzelunternehmer *_nicht_* gut vorstellen kann - zumindest nicht am Anfang.
Stattdessen, könntest du dich z.B auf populäre FLOSS-Freundliche Hardwareplattformen wie Arduino und RasPi konzentrieren (Plattform und Eignung kannst du selbst besser wählen) und damit Dienstleistungen zu Haus- und Geländeautomatisierung, Sensornetzen, Anlagensteuerung, Bühnenbau / Veranstaltungstechnik etc. anbieten. Gegebenenfalls ist es eine gute Idee, nicht mit fertigen Konzepten beim Auftraggeber einzufallen, sondern Material und Ausrüstung direkt vom Kunden einkaufen zu lassen, und als Dienstleister lebendig zu machen. Das vermindert das benötigte Startkapital für dich, erlaubt dir bei der Entwicklung besser auf den Kunden einzugehen, und erhöht auch die Nachsicht beim Kunden, wenn irgendwo im Projekt Probleme auftreten - schließlich sieht dieser, dass Arbeit verrichtet wird, und hat durch seine Eigenbeteiligung gegebenenfalls auch Zugang zu den technischen Hürden, die überwunden werden müssen.
Auch hier kommst du schnell in ein Feld, in dem Auftraggeber keine Angst davor haben ihre Entwicklung öffentlich zu machen. Um ein fiktives Beispiel zu nennen: Ein Konzertveranstalter, der seine Nebel- Licht- und Lautsprecheranlage für den Einsatz in einer Bühnenshow programmieren will steht nicht in Konkurrenz zu einem Bauunternehmen, das Lüftung, Jalousien und Fahrstuhlmusik in einem Bürogebäude Tageszeit- und Wetterabhängig regulieren möchte. Beide können im Gegenteil gut zusammenarbeiten. Der Vorteil gegenüber der Konkurrenz liegt bei solchen Firmen ohnehin mehr in der Fachlichen Spezialisierung auf ein Feld, als in der Verfügbarkeit von irgendwelchen bestimmten Gadgets.
Hinzu kommt, dass ich mich von meiner Arbeitsstelle eingeengt fühle. [...] Geld spielt hingegen in meinem Leben eine eher geringe Rolle. [...]
Das sind denke ich ziemlich gute Voraussetzungen für dein Unterfangen.
Wichtig für kleine Unternehmer ist, dass du dir einen Kundenstamm aufbaust indem du mit anderen Unternehmern ins Gespräch kommst. Nur zum Teil geht das auf Fachmessen. Gerade wenn diese viel Eintritt kosten sind sie aber eher mal ein Teich für größere Fische. Lokale Unternehmerstammtische, User Groups, Gemeinschaftswerkstätten oder auch einfach nur eine Imbissbude im Industrieviertel sind geeignet um mit Kunden und Geschäftspartnern ins Gespräch zu kommen. Achja Geschäftspartner: Es gibt keine Konkurrenten, es gibt nur Kollegen. Gerade in so einem ideologisch geprägten Umfeld wie bei Freier Software spielt man sich gern mal gegenseitig Aufträge zu, holt sich ein zweites Paar Augen mit ins Projekt oder sucht einfach einen Troubleshooter wenn man selbst gerade im Urlaub ist. Also sprich mit Leuten - vom Floristen, der eine Gießanlage braucht über das Esotherikercafé mit automatischem Gong und den spleenigen Küchenausstatter mit origineller Kaffeemaschine im Kundenraum bis zum Industrieanlagenbauer.
Was ich hier sage, sage ich natürlich alles aus persönlicher Erfahrung. Manch einer mag mir in dem ein oder anderen Punkt widersprechen oder etwas hinzufügen. Freie Software zeichnet sich dadurch aus, dass man auf bestehendes zurückgreifen kann und folglich nur das hinzufügt was noch nicht da ist. Eben weil in dem Feld ständig neues entsteht, arbeitet auch jeder Entwickler in einem anderen Umfeld, es gibt also keine Standard-Geschäftsmodelle.
Damit die Email nicht zu lang wird, höre ich an dieser Stelle auf. ;-) Über Ideen und Anregungen oder eigene Erfahrungen wäre ich sehr dankbar.
Auch ich sollte mein Nähkästchen hier langsam schließen. Ich hoffe ich konnte dir helfen, und dich motivieren.